Entspannung über den Atem

Wenn ein kleines Kind unruhig ist, nimmt die Mutter es auf und legt es sich über die Schulter. Vielleicht schaukelt sie es dabei noch, vielleicht geht sie mit ihm im Zimmer umher. Und das Kind beruhigt sich. – Warum?

Sicher spielt der Körperkontakt eine Rolle. Er vermittelt Sicherheit, Geborgenheit. Wichtig sind wahrscheinlich auch Gerüche. Für unser Thema noch wichtiger sind aber die Rhythmen, die die Mutter mit ihrem Verhalten dem Kind vorgibt. Das Wiegen des Kindes durch ihr Schaukeln oder die Bewegung ihrer Schritte im Raum ergibt einen langsamen Rhythmus.

Und da ist noch ein zweiter, vielleicht wichtigerer Rhythmus: Üblicher­weise legt die Mutter das Kind links an. So kommt das Ohr des Kindes dem Herzen der Mutter ganz nahe. Kinderherzen schlagen schnell. Im Laufe des Lebens verlangsamt sich der Herzschlag stark. Die Mutter gibt mit ihrem Herzschlag dem Kind also einen Rhythmus vor, der ähnlich seinem eigenen Herzschlag ist – aber langsamer. Der Herzschlag des Kindes verlangsamt sich daraufhin, versucht sich dem Herzschlag der Mutter anzunähern. Ein langsamerer Herzschlag bedeutet Beruhigung. Das Kind hört zu weinen auf und entspannt sich.

Die Beobachtung langsamer Rhythmen kann also der Entspannung dienen.

Rhythmen entspannen – wenn sie regelmäßig und langsamer sind als der eigene Herzschlag. Denn unser Herzschlag tendiert dazu, sich ein wenig in die Richtung wahrgenommener Rhythmen zu verändern. Er wird nicht so langsam oder so schnell wie der vorgegebene Rhythmus, aber er bewegt sich in dessen Richtung: Rhythmen, die schneller als unser Herz­schlag sind, lassen den Herzschlag beschleunigen. Rhythmen, die lang­samer als unser Herzschlag sind, verlangsamen unseren Herzschlag. Bei schneller Musik etwa beschleunigt das Herz, bei langsamer verlangsamt es.

Ein schneller Herzschlag ist mit Erregung oder Anspannung verbunden, ein langsamer mit Entspannung. Denn Erregung oder Anspannung war im Laufe unserer Evolution gleichbedeutend mit: Ich muss aktiv werden! Dazu braucht es mehr Energie. Um diese bereitzustellen, beschleunigen Atmung und Herzschlag. Ein langsamer Herzschlag dagegen ist mit Ruhe und Erholung verbunden. Der Energiebedarf sinkt dabei, auch die Atmung verlangsamt sich.

Johannes Kneutgen (1970) schreibt: „Nicht nur langsame, gleichmäßige akustische Reize, wie ein Wiegenlied, führen zur Beruhigung und Schläf­rigkeit. Dies tun bekanntlich auch optische und Berührungsreize, wie z.B. leichtes stereotypes Streicheln der Rücken- und Schulterregion, oder das gleichmäßige Tropfen eines Wasserhahnes, das Schaukeln einer Wiege, der gleichförmige Berührungsreiz am Kopf beim Haareschneiden, Frosch­quaken usw.“

Wenn wir uns auf Rhythmen konzentrieren, sie beobachten, verstärkt das ihre Wirkung. Aber was für Rhythmen könnten wir zur Entspannung beobachten?

Der Atem ist ein langsamer Rhythmus, der uns immer zur Verfügung steht, der immer langsamer geht, als unser Herz schlägt. Was in vielen Entspannungs-Musiken die Meereswellen sind, tragen wir in uns.

Auf den Atem zu achten, bewirkt eine gewisse Beruhigung des Herz­schlags, der sich diesem langsameren Rhythmus etwas anzunähern versucht, mit dem Achten auf den Atem also selbst langsamer wird. Unser Atem steht als Taktgeber für eine Entspannung immer zur Verfügung.

Der Atem braucht zur Entspannung also gar nicht bewusst verlangsamt zu werden. Das könnte sogar seinerseits zum Stress werden. Bereits einfache Achtsamkeit auf den eigenen Atem hat in aller Regel eine beruhi­gende Wirkung.

Atementspannung ist deshalb eine gute Methode gegen Stress oder Angst. Wir haben einige Übungen dazu, die nebeneinander stehen. Schon eine davon kann genügen. Wir bieten sie als Alternativen an: Was davon persönlich am besten tut, am leichtesten einsetzbar ist, verfolgen wir weiter.

Bei allen Atemübungen atmen wir durch die Nase ein. Das ist immer empfehlenswert, denn die Nase reinigt die eingezogene Luft von Staub und Mikroben, feuchtet sie an und wärmt sie. Auch die Ausatmung kann durch die Nase geschehen – oder durch den Mund.

Der Bauch sollte nicht eingeengt sein, der Atem frei fließen können.

Eine eher passive geistige Haltung ist bei allen Atemübungen zur Entspannung günstig, sich also eher auf Wahrnehmen als auf Handeln einstimmen.

Die Lesetext- und die Audio-Dateien unterscheiden sich etwas: In den Audio-Dateien sind nur die Anleitungen zu hören (das sind die kursiv gesetzten Teile), nicht die Erläuterungen dazu.